Leitsätze
1. Eine die Festsetzungsfrist verlängernde leichtfertige Steuerverkürzung ist gegeben, wenn ein mit Pflanzenölen handelndes Unternehmen, das in größerem Umfang und über einen längeren Zeitraum Pflanzenöle zum Zweck der Verwendung als Kraft- oder Heizstoffe weiterveräußert, in Kenntnis der grundsätzlichen Energiesteuerpflichtigkeit derartiger Energieerzeugnisse sich nicht hinreichend über die den Hersteller der Energieerzeugnisse treffenden energiesteuerrechtlichen Pflichten informiert und infolgedessen die nach § 9 Abs. 2 EnergieStG unverzüglich abzugebende Steueranmeldung unterlässt.
2. Den Steuerpflichtigen trifft trotz der nach § 50 EnergieStG grundsätzlich vorgesehenen Steuerentlastungsmöglichkeit eine Informations- und Erkundigungspflicht hinsichtlich der für ihn geltenden steuerrechtlichen Verfahrenspflichten beim Umgang mit Biokraft- und Bioheizstoffen. Eine Verletzung dieser Informations- und Erkundigungspflicht kann den Vorwurf der leichtfertigen Steuerverkürzung begründen.Tatbestand
2 Die Klägerin handelt seit mehreren Jahrzehnten mit Futterfetten, Fettsäuren, Glycerin und artverwandten Produkten aller Art. Sie ist seit 2005 Inhaberin einer Bewilligung der Überführung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr zur besonderen Verwendung (Bewilligungsnummer DE/.../...) betreffend u. a. die Waren rohes Palmöl, zu technischen oder industriellen Zwecken, ausgenommen zur Herstellung von Lebensmitteln, Codenummer 1511101000, und Palmöl, raffiniert, jedoch nicht chemisch modifiziert, zu technischen oder industriellen Zwecken, ausgenommen zur Herstellung von Lebensmitteln, Codenummer 1511909190. In der Bewilligung ist unter Einzelheiten der geplanten Vorgänge angegeben: Verteilung an andere Bewilligungsinhaber. Im Rahmen dieser Bewilligung übernahm die Klägerin von der A GmbH & Co. Handels-KG, einem Unternehmen, das derselben Konzerngruppe wie die Klägerin angehört, Palmöl und Palmölraffinat - jeweils Pflanzenöle der Position 1511 Kombinierte Nomenklatur - aus der besonderen Verwendung und übertrug diese in den Zeiträumen August 2006 bis 2008 an diverse Kunden in Deutschland, die ihrerseits Inhaber von Bewilligungen eines Zollverfahrens der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zur besonderen Verwendung in Bezug auf rohes Palmöl und/oder Palmölraffinat zum Zweck der energetischen Verwendung, z. B. zur Energiegewinnung sowie zum Antrieb von Generatoren zur Erzeugung von Wärme und Strom, waren. Bei den weiterveräußerten Pflanzenölen handelte es sich für den Zeitraum August 2006 bis Ende 2007 insgesamt um ein Volumen von 10.511.912 Liter, die an insgesamt ... unterschiedliche Kunden geliefert wurden. Dabei hatte die Klägerin Kenntnis davon, dass ihre Kunden diese Waren zu energetischen Zwecken einsetzten. In Unkenntnis der energiesteuerrechtlichen Vorschriften gab die Klägerin jedoch keine Steueranmeldungen in Bezug auf die an ihre Kunden gelieferten Pflanzenöle ab. Nachdem Anfang Dezember 2008 anlässlich einer Zollabfertigung - deren Einzelheiten nicht näher bekannt sind, die aber jedenfalls im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit der Konzerngruppe, der auch die Klägerin angehört, vorgenommen wurde - der verwendete Verfahrenscode (4000: Abfertigung zum zollrechtlich und steuerrechtlich freien Verkehr, statt 4500: Überführung von Nichtgemeinschaftswaren in den zoll- und einfuhrumsatzsteuerrechtlich freien Verkehr mit anschließendem Verbringen verbrauchssteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung in ein deutsches Warenlager) beanstandet worden war und dies auch zur Kenntnis der Klägerin kam, wandte sich die Klägerin zwecks weiterer Klärung an den Beklagten. Dabei stellte sich zwar der Verfahrenscode bei der Zollabfertigung nicht als fehlerhaft heraus, jedoch der Umstand, dass die eingeführten und übernommenen Pflanzenöle an andere Bewilligungsinhaber zum Zweck der energetischen Verwendung weiterveräußert worden waren, ohne dass die Klägerin entsprechende Steueranmeldungen abgegeben hatte. Daraufhin meldete die Klägerin mit insgesamt vier Energiesteueranmeldungen jeweils vom 15.01.2009 Energiesteuer für rohes Palmöl für die Zeiträume 01.08.2006 bis 31.12.2006 bzw. 01.01.2007 bis 31.12.2007 und für Palmölraffinat für die Zeiträume 01.08.2006 bis 31.12.2006 bzw. 01.01.2007 bis 31.12.2007 an. Steuerentlastungsanträge nach § 50 Energiesteuergesetz (EnergieStG) stellte die Klägerin vor dem Hintergrund der jeweils bereits abgelaufenen Antragsfrist aus § 94 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes (EnergieStV) nicht. Mit Steuerbescheiden jeweils vom 21.01.2009 setzte der Beklagte für rohes Palmöl für den Zeitraum 01.08.2006 bis 31.12.2006 281.392,02 € und für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2007 260.053,82 € sowie für Palmölraffinat für den Zeitraum 01.08.2006 bis 31.12.2006 40.735,73 € und für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2007 62.724,24 €, mithin insgesamt 644.905,81 € Energiesteuer fest. Für die ebenfalls angemeldete Energiesteuer für den Zeitraum in 2008 beantragte die Klägerin zeitgleich und insoweit fristgerecht Steuerentlastung für Biokraft- und Bioheizstoffe gemäß § 50 EnergieStG, die ihr auch gewährt wurde, so dass bezüglich des Zeitraums 2008 keine Energiesteuer zwischen den Beteiligten im Streit ist.
3 Den gegen die Energiesteuerbescheide vom 21.01.2009 eingelegten Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 16.09.2010 als unbegründet zurück. Palmöl und Palmölraffinat seien Waren der Position 1511 Kombinierte Nomenklatur und damit Energieerzeugnisse gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 4 Nr. 1 EnergieStG, wenn sie dazu bestimmt seien, als Kraft- oder Heizstoff verwendet zu werden. Würden diese Waren als Kraft- oder Heizstoff abgegeben, so gälten sie als zur Verwendung als Kraft- oder Heizstoff bestimmt. Würden Energieerzeugnisse nach § 4 EnergieStG außerhalb eines Herstellungsbetriebes, z. B. durch Bestimmen, hergestellt, so entstehe gemäß § 9 Abs. 1 EnergieStG die Steuer mit der Herstellung. Steuerschuldner sei gemäß § 9 Abs. 2 EnergieStG der Hersteller. Da die Klägerin die genannten Voraussetzungen erfülle, sei sie Steuerschuldnerin der an ihre Kunden als Kraft- und Heizstoff verkauften Palmöle und Palmölraffinate. Die Festsetzungsfrist betrage bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Der Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung sei erfüllt, da die Klägerin durch die Nichtabgabe von Steueranmeldungen die Finanzbehörde hinsichtlich steuerlich erheblicher Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt habe. Sie habe in besonders großem Maße gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, weil sie Kenntnis davon gehabt habe, dass das verkaufte Pflanzenöl von ihren Kunden für energetische Zwecke eingesetzt werden sollte. Als Unternehmen, das mit Produkten des Energiesektors handle, hätte sie die Steuerverkürzung vorhersehen und durch Einholen einschlägiger Informationen leicht vermeiden können.
4 Mit Energiesteueränderungsbescheid vom 28.04.2009 wurden 130.561,59 € Energiesteuer erstattet, da die Klägerin insoweit anlässlich des Einspruchsverfahrens nach näherer Durchsicht ihrer Unterlagen nachweisen konnte, dass für den Zeitraum 01.08.2006 bis 31.12.2006 vier Lieferungen rohes Palmöl im Umfang von 2.128.143,3 Litern nicht als Kraft- oder Heizstoff abgeben worden waren. Damit steht nur noch ein Betrag von insgesamt 514.343,52 € im Streit.
5 Über einen parallel zum Einspruchsverfahren gestellten Antrag der Klägerin auf Erstattung der gezahlten Energiesteuer im Billigkeitswege hat der Beklagte noch nicht abschließend entschieden.
6 Mit ihrer am 14.10.2010 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Es liege keine leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne von § 378 AO vor, so dass die Festsetzungsfrist von einem Jahr nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO abgelaufen sei. Zwar habe sie, die Klägerin, den Beklagten objektiv über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Es fehle jedoch zum einen an der dadurch erfolgen Steuerverkürzung. Denn bei einer ordnungsgemäßen Bearbeitung des Vorgangs hätte sie, die Klägerin, im Rahmen der Steueranmeldung den Entlastungsantrag, der formularmäßig in der Energiesteueranmeldung vorgesehen sei und daher keiner besonderen weiteren Handlung bedurft hätte, gestellt. Das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO stehe dem nicht entgegen, da es nicht gelte, wenn eine Steuerermäßigung oder -entlastung in einem solchen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Tathandlung stehe, dass beide Gesichtspunkte nur einheitlich beurteilt werden könnten. Das Kompensationsverbot könne zudem nicht eingreifen, wenn mangels Abgabe einer Steuererklärung keine der Steuerbehörde erklärten "Gründe" vorlägen, also die Tathandlung durch Unterlassen begangen worden sei. Überdies sei keine Leichtfertigkeit gegeben. Leichtfertig handle, wer aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit fahrlässig handle. Dies sei bei ihr, der Klägerin, nicht der Fall gewesen. Das Energiesteuergesetz sei unter dem 15.07.2006 bekannt gemacht worden, aus den einschlägigen Veröffentlichungen sei deutlich gewesen, dass Pflanzenöle, die als Biokraftstoff oder Bioheizstoff Verwendung fänden, unversteuert bleiben sollten. Verfahrenstechnisch sei bekannt gewesen, dass entsprechende Bewilligungen an die Verwender dieser Pflanzenöle erteilt würden. Die die Handelsgeschäfte mit rohem Palmöl und Palmölraffinaten abwickelnden Mitarbeiter aus der Konzerngruppe, der auch die Klägerin angehöre, seien davon ausgegangen, dass nicht der Importeur und Händler, sondern derjenige, der das Palmöl für die Energieerzeugung einsetze, zu der Energiesteuer herangezogen werde, da diese Abnehmer die Bewilligungen zum Einsatz des Palmöls zur Energiegewinnung erhalten hätten. Dieses Vorgehen sei im Rahmen der Zollanmeldungen bei der Einfuhr der Pflanzenöle seit August 2006 von den Zollbehörden unbeanstandet geblieben. Vollständige Klarheit über die Steuerpflicht und Steuerschuldnerschaft sei für sie, die Klägerin, erst nach der Besprechung mit Mitarbeitern des Beklagten im Januar 2009 gewonnen worden. Bei dieser Sachlage zeuge es weder von besonderem Leichtsinn noch von besonderer Gleichgültigkeit ihres, der Klägerin, Geschäftsführers bzw. ihrer Mitarbeiter, wenn diese die Notwendigkeit der Energiesteueranmeldung verbunden mit einem Steuerentlastungsantrag als außergewöhnliche rechtliche Konstruktion von Anordnung der Steuerpflicht und Steuerentlastung auf Antrag nicht erkannt hätten. Im Hinblick auf die nach dem gesetzgeberischen Willen bei der vorgesehenen Verwendung gewährte Steuerfreistellung habe kein Anlass bestanden, an der Richtigkeit ihrer, der Klägerin, Vorgehensweise zu zweifeln.
Entscheidungsgründe
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