Redaktionelle Leitsätze
1 Die für eine Organschaft eingereichte Umsatzsteuerjahreserklärung gilt nicht als Erklärung für den Organträger.
2 Zur Steuerhinterziehung der Umsatzsteuerjahreserklärung durch unrichtige Umsatzsteuererklärung einer GmbH. (Einsatz eines Missing Traders)
Tatbestand
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7 1. Seit dem 25. August 2000 hielt die IP. alle Geschäftsanteile an der B. GmbH (im Folgenden: B. ), die wiederum seit dem 22. Dezember 2000 sämtliche Anteile an der I. hielt. Vorstandsvorsitzender der IP. war der Angeklagte K. ; Geschäftsführerin der I. war zunächst im Zeitraum vom 17. April 2001 bis zum 15. Dezember 2001 A. (UA S. 13). Der Angeklagte H. übernahm am 16. Dezember 2001 die Geschäftsführung der I. . Leitungsaufgaben hatte er - im Vorgriff auf seine Geschäftsführerbestellung - allerdings bereits schon kurz zuvor wahrgenommen (UA S. 20). Seine Bestellung wurde am 16. Januar 2002 ins Handelsregister eingetragen (UA S. 20). Dem früheren Mitangeklagten O. , der bis zum 8. April 2003 Vorstandsmitglied der IP. war (UA S. 12), wurde bei der I. am 9. Mai 2001 (UA S. 13) und bei der B. am 13. Juni 2001 (UA S. 13) Einzelprokura erteilt.
8 Nach der Vornahme von Umstrukturierungen gliederte die IP. sowohl die B. als auch die I. organisatorisch, finanziell und wirtschaft-lich „in den Konzern“ ein. Die IP. erledigte dabei sämtliche Buchhaltungsarbeiten für die I. . Nachdem das Finanzamt deswegen zunächst für die Zeit ab 1. Januar 2002 das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) aller drei Gesellschaften mit der IP. als Organträger angenommen hatte, teilte es am 28. Mai 2003 der I. mit, dass es nun bereits für die Zeit ab 1. Juni 2001 vom Vorliegen einer Organschaft ausgehe. Nach den Feststellungen war der Angeklagte K. kein faktischer Geschäftsführer der I. ; er war in das operative Geschäft der I. nicht eingebunden, nahm keinen Einfluss darauf und erteilte den jeweiligen Geschäftsführern im operativen Geschäftsfeld auch keine Anweisungen (UA S. 21).
9 Die I. übernahm für den IP. -Konzern den internationalen Vertrieb von Computerkomponenten. In der am 15. April 2001 eröffneten Niederlassung in Ol. wurde das sog. Trading betrieben (UA S. 18). Dorthin wechselte im April 2001 ein Großteil der Belegschaft des Vertriebsbüros der ehemaligen Firma S. in E. , die nach Durchsuchungen wegen des Verdachts der Beteiligung an Umsatzsteuerhinterziehungen italienischer und spanischer Firmen insolvent geworden war (UA S. 15 f.).
10 Bereits bei seinen Einstellungsverhandlungen hatte der Angeklagte H. den Angeklagten K. darüber informiert, dass gegen ihn im Hinblick auf seine Tätigkeit bei der Firma S. ein Ermittlungsverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung anhängig sei, weil Abnehmer der Firma S. als „Missing Trader“ verdächtigt würden. Beide Angeklagte waren sich darüber einig, dass die verdächtigten Firmen, die sich aus Durchsuchungsbeschlüssen ergaben, nicht von der I. beliefert werden sollten (UA S. 19). Außerdem kamen sie überein, dass zur Vermeidung der Einbeziehung der I. in ein Umsatzsteuerkarussell oder der Belieferung von „Missing Tradern“ Maßnahmen zu ergreifen seien. Deshalb sollten die Seriennummern der „durchlaufenden Waren“ in das Warenwirtschaftssystem aufgenommen werden. Zudem sollten u.a. eine Auskunftsdatei zur Überprüfung der Kunden angelegt und deren Umsatzsteueridentifikationsnummer vor jedem Geschäft überprüft werden (UA S. 19). Anhand der vorhandenen Daten sollte tagesaktuell das Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG durchgeführt werden (UA S. 22).
11 2. Die Niederlassung der I. in Ol. belieferte im Veranlagungs-zeitraum 2001 u.a. die italienischen Firmen T. und F. sowie die spanischen Firmen M. , U. und C. (UA S. 24). Bei diesen Firmen handelte es sich ausnahmslos um sog. „Missing Trader“, die als „Scheingesellschaften“ nur zum Zweck der Umsatzsteuerhinterziehung „zwischengeschaltet“ worden waren, um den wirklichen Abnehmern einen Vorsteuerabzug (aus Rechnungen über Inlandslieferungen) zu ermöglichen. Sie verkauften die Waren an die wirklichen italienischen und spanischen Abnehmer weiter und wiesen in den diesbezüglichen Ausgangsrechnungen die italienische bzw. spanische Umsatzsteuer aus. Die Abnehmer machten aus diesen Rechnungen gegenüber den Finanzbehörden Vorsteuern geltend. Demgegenüber führten die genannten „Missing Trader“ die bei ihnen anfallende Umsatzsteuer zu keiner Zeit ab. Sie waren jeweils nur wenige Monate am Markt tätig.
12 Gegenüber der I. offenbarten die „Missing Trader“ ihre Abnehmer nicht. Allerdings nahmen die bei der I. tätigen Vertriebsmitarbeiter bereits im Zeitpunkt der einzelnen Lieferungen in Kauf, dass die im jeweiligen Bestimmungsland vorgesehene Umsatzbesteuerung durch Verschleierungsmaßnahmen und falsche Angaben gezielt umgangen werden sollte, um den tatsächlichen Abnehmern einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen. Sie nahmen weiter in Kauf, dass diese „missbräuchliche Praxis“ bei innergemeinschaftlichen Lieferungen keine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG auslöste (UA S. 6). Ihnen war bewusst, dass sie sich an einem Umsatz beteiligten, der in eine „Mehrwertsteuerhinterziehung“ einbezogen war, und billigten dies stillschweigend (UA S. 39). Dabei wirkten sie kollusiv mit den Verantwortlichen der „Missing Trader“ zusammen, um die Hinterziehung der im Bestimmungsland geschuldeten Umsatzsteuern zu ermöglichen (UA S. 8). Der Umsatz mit den genannten Firmen belief sich im Jahr 2001 auf insgesamt 23.703.416,48 Euro, davon entfielen nur 58.438,10 Euro auf die Zeit bis zum 31. Mai 2001 (UA S. 6).
13 3. In den Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 2001 für die I. wurden die Umsätze aus den verfahrensgegenständlichen innergemeinschaftli-chen Lieferungen - vorbereitet „durch die Mitarbeiter der Buchhaltung der IP. “ - als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG erklärt (UA S. 55).
14 4. Spätestens seit der Durchsuchung der Geschäftsräume der IP. und der I. am 3. Dezember 2002 und der dabei erfolgten Bekanntgabe der Einleitung von Steuerstrafverfahren wegen falscher Umsatzsteuervoranmeldungen im Jahr 2001 rechneten beide Angeklagte damit, dass die I. „Missing Trader“ beliefert hatte und insoweit keine Umsatzsteuerbefreiungen in Anspruch nehmen konnte. Ihnen kam es aber darauf an, durch Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen für das Jahr 2001 das beim Finanzamt Landshut anhängige Besteuerungsverfahren möglichst schnell zum Abschluss zu brin-gen, um die Freigabe eines vom Finanzamt bis zur Klärung des Sachverhalts gesperrten Umsatzsteuerguthabens der IP. in Höhe von 5 Mio. Euro (UA S. 56) zu erreichen (UA S. 6).
15 Wie mit dem Angeklagten K. abgesprochen, erklärte der Angeklagte H. gegenüber dem Finanzamt Fürstenfeldbruck in der Umsatzsteuer-jahreserklärung der I. für das Jahr 2001 am 24. März 2003 die getätigten Umsätze aus den Geschäften mit den genannten italienischen und spanischen Firmen in Höhe von mehr als 23,7 Mio. Euro (23.703.416,48 Euro) als steuerfreie Umsätze aus innergemeinschaftlichen Lieferungen i.S.v. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG (UA S. 6, 58). Die nach Auffassung des Landgerichts hierauf entfallende und hinterzogene Umsatzsteuer betrug 3.277.497,18 Euro (UA S. 58). Insgesamt bezifferte der Angeklagte H. in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2001 der I. den verbleibenden Überschuss auf 30.448.505,46 DM und errechnete unter Berücksichtigung des Vorauszahlungssolls (in Form eines Überschusses aus den Umsatzsteuervoranmeldungen von 30.448.505,32 DM) einen Erstattungsanspruch von 0,14 DM (UA S. 58).
16 Wegen der Unkenntnis der Angeklagten vom Vorliegen einer umsatz-steuerlichen Organschaft enthielt die Umsatzsteuerjahreserklärung 2001 der I. sämtliche Umsätze aus dem Jahr 2001; demgegenüber waren die Umsätze der I. in der von dem Angeklagten K. am 23. April 2003 für die IP. beim Finanzamt Landshut eingereichte Umsatzsteuerjahreserklärung nicht enthalten (UA S. 5, 57).
17 5. Eine Auszahlung des sich aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 2001 für die I. ergebenden Erstattungsbetrages von 0,14 DM durch die Finanz-behörden fand nicht statt. Vielmehr erging am 11. Juni 2003 gegen die I. ein Umsatzsteuerbescheid für 2001, in dem wegen der vom Finanzamt ange-nommenen Organschaft eine Zahllast von 12.412.964 Euro festgesetzt wurde. Die IP. beglich diesen Betrag (UA S. 58).
18 6. Gegen den am 9. Juli 2003 gegenüber der IP. erlassenen Umsatz-steuerbescheid 2001, der einen Erstattungsanspruch von 7.772.459 Euro fest-setzte, legte die IP. Einspruch ein, um nach Feststellung der Steuerfreiheit der verfahrensgegenständlichen innergemeinschaftlichen Lieferungen die Erhöhung ihres Umsatzsteuerguthabens um 4.317.840 Euro zu erreichen.
19 Am 16. November 2006 verständigten sich die IP. und das Finanzamt Landshut dahingehend, dass 92 Prozent der ab 1. Juni 2001 getätigten Umsät-ze, also 21.753.381,03 Euro, bei ihr als Organträgerin zu versteuern seien, was bei einem Steuersatz von 16 Prozent eine Umsatzsteuerschuld von 3.000.466,35 Euro ergab. Die Umsatzsteuerschulden der IP. und der I. wurden fristgerecht bezahlt (UA S. 7, 58).
Entscheidungsgründe
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BGH, Urteil vom 19. März 2013, 1 StR 318/12