Steuerhinterziehung ist nur bei Vorsatz strafbar, § 15 Strafgesetzbuch (StGB). Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter von der Steuerhinterziehung wusste und eine solche auch begehen wollte (Wissens- und Wollenselement des Vorsatzes). Der Vorsatz des Täters muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestands beziehen[1]. Zeitlich muss der Vorsatz bei Ausführung der Tathandlung gegeben sein, also dann, wenn der Täter seine Erklärung aus der Hand gibt.
Wissen von der Steuerhinterziehung
Vorsatz erfordert zunächst die Kenntnis aller Tatumstände / Voraussetzungen der Steuerhinterziehung. Vorsatz ist ausgeschlossen, wenn das Wissenselement des Vorsatzes im Hinblick auch nur auf einen Tatumstand fehlt. Der Täter handelt dann im Tatbestandsirrtum, § 16 StGB.[2]
Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört nach der Rechtsprechung des BGH, des BFH und der herrschenden Lehre, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder mindestens für möglich hält und den Steueranspruch auch verkürzen will (sog. Steueranspruchstheorie).[3] Der Täter muss also Kenntnis von der steuerlichen Rechtslage haben, wobei eine exakte Kenntnis der steuerlichen Vorschriften nicht gefordert wird[4]. Die Feststellung der Kenntnis von der steuerlichen Rechtslage bereitet in der Praxis regelmäßig besondere Probleme.[5]
Der Vorsatz des Täters muss sich dabei explizit auch auf die Höhe der Steuerverkürzung beziehen. Auch insoweit fordert der BGH zwar keine exakte Kenntnis i.S. einer genauen Steuerberechnung.[6] Nachdem allerdings die Höhe der verkürzten Steuern ein maßgebliches Kriterium der Strafzumessung ist, muss gerade auch der Kenntnistand des Täters mit Blick auf das Hinterziehungsvolumen kritisch hinterfragt werden. Gegebenenfalls ist eine Betragsgrenze zu ermitteln, bis zu welcher der Täter eine Steuerhinterziehung maximal für möglich hielt.[8] Vorstellbar ist daneben auch, dass der Täter durch Verkennen des Kompensationsverbots davon ausgeht, keine oder nur geringere Steuerbeträge hinterzogen zu haben. Auch insoweit könnte dann der Vorsatz entfallen bzw. sich lediglich auf den geringeren Betrag beziehen.[10]
Wollen der Steuerhinterziehung
Soweit der Täter die Steuerhinterziehung umfassend kennt, das Wissenselement des Vorsatzes also vollständig vorliegt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass auch das Wollenselement vorliegt und damit Vorsatz insgesamt bejaht werden kann. Sofern ein Täter entsprechende Kenntnisse hat, kann er nicht ernsthaft behaupten wollen, dass der Hinterziehungserfolg nicht eintritt.[11] In der Fallbearbeitung und Verteidigung kann damit regelmäßig ein zentraler Fokus auf das Wissenselement gelegt werden.
Grenzen des Vorsatzes
Ausreichend für die Annahme von vorsätzlichem Handeln ist, dass der Täter es für möglich hält, die Tatbestandsmerkmale zu verwirklichen und diese Verwirklichung billigend in Kauf nimmt (sog. bedingter Vorsatz oder Eventualvorsatz).[12] Sichere Kenntnis ist nicht erforderlich.
Andererseits ist es für die Annahmen vorsätzlichen Handelns nicht ausreichend, wenn der Täter die Höhe des Anspruchs lediglich erkennen kann, diese aber tatsächlich nicht erkannt oder für möglich gehalten hat[13].
Nachweis des Vorsatzes
Soweit der Täter vorsätzliches Handeln nicht einräumt (ggf. auch gestützt auf eigene Sachkunde[14]), muss der Vorsatz prozessual aufgrund einer Gesamtschau der objektiven und subjektiven Tatumstände festgestellt werden. Formelhafte Hinweise des Gerichts auf Vorstellungen und Absichten des Angeklagten genügen dabei ebenso wenig wie bloße Spekulationen. Der Vorsatz ergibt sich insbesondere nicht schon aus der Schilderung des äußeren Tatablaufs.[15]
Ob der Täter den Steueranspruch kennt und Steuern verkürzen will, ist aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“zu ermitteln, welche den individuellen Verständnishorizont des Täters berücksichtigt. Der Täter muss erkennen oder billigend in Kauf nehmen, dass aus dem individuell verwirklichten Sachverhalt ein Steueranspruch entstanden ist, der durch sein verletzt wird.[16] Bei der vorzunehmenden Parallelwertung in der Laiensphäre zu berücksichtigende Kriterien können u.a. sein:
- Schwierigkeit der steuerrechtlichen Fragestellung[17]
- Alter
- Ausbildungsniveau
- Besondere Fachkenntnisse, z.B.
- steuerlich
- kaufmännisch
- berufliche Erfahrungen, insbes. als Kaufmann[18]
- Herkunft
- Medienöffentlichkeit
Zusammenfassung
Zusammenfassend ergeben sich die folgenden Voraussetzungen für die Annahme eines Vorsatzes bei Steuerhinterziehung:
Checkliste Vorsatz Steuerhinterziehung
Vorsatz bei der Steuerhinterziehung liegt regelmäßig vor, falls der Täter alle nachfolgend genannten Merkmale entweder
- kennt oder
- diese für möglich hält und billigt:
1. Steueranspruch: Maßgeblich ist die steuerliche Rechtslage, welche aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zu beurteilen ist.
2. Unzutreffende oder unterlassene Angaben zum Steueranspruch.
4. Höhe der verkürzten Steuern.
[1] Vgl. Lackner / Kühl, StGB, 30. Aufl. 2022 *, § 15 Rn. 4 m.w.N.
[2] Vgl. Lackner / Kühl, StGB, 30. Aufl. 2022 *, § 16 Rn. 3.
[3] Vgl. etwa BGH, 13.3.2019, 1 StR 520/18, Rn 18; BGH, 10.1.2019, 1 StR 347/18, Rn 20; BGH, 24.1.2018, 1 StR 331/17, Rn. 14; BGH, 8.9.2011, 1 StR 38/11, Rn. 21; BFH, 29. 4. 2008, VIII R 28/07, NJW 2008, 2941, 2944; Klein, AO, 16. Aufl. 2022 *, § 370 Rn. 171; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 661; MüKoStGB, Schmitz / Wulf, 3. Aufl. 2019, AO § 370 Rn. 397; Joecks / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2022 *, § 370 Rn. 502.
[4] BGH, 27.11.2002, 5 StR 127/02, BGHSt 48, 108; BGH, 24.10.2002, 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52.
[5] Vgl. MüKoStGB, Schmitz / Wulf, 3. Aufl. 2019, AO § 370 Rn. 388
[6] Vgl. BGH, 27.11.2002, 5 StR 127/02, BGHSt 48, 108; BGH, 24.10.2002, 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52.
[8] So auch MüKoStGB, Schmitz / Wulf, AO § 370 Rn. 409.
[10] Vgl. MüKoStGB, Schmitz / Wulf, AO § 370 Rn. 409.
[11] Vgl. Ransiek, Andreas / Hüls, Silke, NStZ 2011, 678, 679.
[12] Ausführlich hierzu Ransiek, Andreas / Hüls, Silke, NStZ 2011, 678.
[13] Vgl. BGH, 7.4.1978, 5 StR 48/78, BeckRS 1978, 31115299; Klein, AO, 16. Aufl. 2022 *, § 370 Rn. 171.
[14] Vgl. BGH, 13.09.2007, 5 StR 292/07; BGH, 13.12.2005, 5 StR 427/05; BGH, 13.10.2005, 5 StR 368/05; BGH, 15.03.2005, 5 StR 469/04.
[15] Vgl. Kohlmann, Ransiek, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 602 ff.
[16] Vgl. Klein, AO, 16. Aufl. 2022 *, § 370 Rn. 172; Kohlmann, Ransiek, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 661; MüKoStGB, Schmitz / Wulf, AO § 370 Rn. 403 m.w.N. zur Rspr.; Joecks / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2022 *, § 369 Rn. 105 und § 370 Rn. 235.
[17] Vgl. MüKoStGB, Schmitz / Wulf, AO § 370 Rn. 388.
[18] Vgl. BGH, 24.10.2002, 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52.
* Durch den Klick auf einen Link mit * unterstützten Sie unsere Arbeit. Wir bekommen dann ggf. eine geringe Vergütung. Empfehlungen erfolgen allerdings immer unabhängig und alleine inhaltsbezogen.