(1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.
(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn
- bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
- dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung, oder
- dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
- ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, oder
- ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
- ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g des Einkommensteuergesetzes oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat oder
- eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste,
- die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25 000 Euro je Tat übersteigt, oder
- ein in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 bis 6 genannter besonders schwerer Fall vorliegt.
Der Ausschluss der Straffreiheit nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c hindert nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Absatz 1 für die nicht unter Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart.
(2a) Soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung begangen worden ist, tritt Straffreiheit abweichend von den Absätzen 1 und 2 Satz 1 Nummer 3 bei Selbstanzeigen in dem Umfang ein, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 gilt nicht, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen. Für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung ist die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich.
(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Absatz 4 angerechnet werden, sowie die Verzugszinsen nach Artikel 114 des Zollkodex der Union innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet. In den Fällen des Absatzes 2a Satz 1 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die fristgerechte Entrichtung von Zinsen nach § 233a oder § 235 unerheblich ist.
(4) Wird die in § 153 vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt Absatz 3 entsprechend.
Einleitung
§ 371 AO ermöglicht es Steuerpflichtigen, durch die Abgabe einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung Straffreiheit zu erlangen. Dieser Paragraph ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Steuer(straf)rechts und dient als Anreiz für Steuerpflichtige, bisher nicht deklarierte oder falsch deklarierte Steuern nachzumelden. Die Vorschrift trägt dazu bei, das Steueraufkommen zu sichern und die Steuerehrlichkeit zu fördern.
Die Regelungen der steuerlichen Selbstanzeige nach § 371 AO setzen voraus, dass der Steuerpflichtige unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber dem Finanzamt gemacht hat, die zu einer Verkürzung von Steuern geführt haben oder führen können. Die Norm eröffnet die Möglichkeit, durch eine nachträgliche korrekte und vollständige Offenlegung aller relevanten Sachverhalte straffrei auszugehen, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
Voraussetzungen
Die Gewährung der Straffreiheit hängt von mehreren Voraussetzungen ab, insbesondere:
- Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige: Die Selbstanzeige muss erfolgen, bevor die Tat entdeckt ist. Dies beinhaltet nicht nur die faktische Entdeckung, sondern auch den Zeitpunkt, ab dem mit der Entdeckung ernsthaft gerechnet werden muss.
- Vollständigkeit: Die Selbstanzeige muss alle unrichtigen oder unvollständigen Angaben für einen Zeitraum von zehn Jahren umfassen. Dies erfordert eine umfassende Aufarbeitung und Korrektur aller relevanten steuerlichen Sachverhalte.
- Nachzahlung der hinterzogenen Steuern: Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, die hinterzogenen Steuern innerhalb einer vom Finanzamt gesetzten Frist nachzuzahlen. Dies umfasst in der Regel auch die Zahlung von Hinterziehungszinsen.
Rechtsfolgen
Die erfolgreiche Selbstanzeige führt zur Straffreiheit hinsichtlich der Steuerhinterziehung. Dies bedeutet jedoch nicht die Befreiung von der Nachzahlung der hinterzogenen Steuern und der Zinsen. Die finanziellen Verpflichtungen bleiben bestehen.
Ausschlussgründe
Die Möglichkeit zur Selbstanzeige ist in bestimmten Fällen ausgeschlossen, insbesondere wenn:
- eine Steuerprüfung begonnen oder ein Straf- oder Bußgeldverfahren bereits eingeleitet wurde,
- die Tat bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder damit rechnen musste,
- ein Finanzbeamter zur steuerlichen Prüfung oder Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erschienen ist.
Praktische Bedeutung und Kritik
Die Regelung zur Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung ist sowohl in der Praxis als auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion von großer Bedeutung. Sie ermöglicht es, das Steueraufkommen zu sichern und gleichzeitig den Steuerpflichtigen eine Möglichkeit zur Korrektur zu bieten. Kritiker bemängeln jedoch, dass die Regelung auch ein Einfallstor für Missbrauch sein kann und die Steuergerechtigkeit untergräbt, indem sie Steuerhinterziehern einen "Ausweg" bietet.
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